Deutsche Sprache der Gegenwart

Zentralabitur Niedersachsen 2010/2011

Theaterkritik Romeo und Julia im Schauspielhaus Dresden

Posted by Nebelspinne - 22. November 2009

Regie: Simon Solberg

Schon gleich zu Beginn fiel auf, dass Solbergs Inszenierung sehr modern und außergewöhnlich gestaltet war, wenngleich sie inhaltlich den Kern von Shakespeares Werk erhielt.
Der Bauzaun als ständiges Element des Bühnenbildes hob die Verfeindung der beiden Familien Montagu und Capulet im italienischen Verona hervor und führte somit in die Problematik des Stückes ein.
Die ausgeprägte Fehde der Gruppierungen äußerte sich durchweg in den gewalttätigen Anfeindungen und virtuosen Gefechten.
Damit einhergehend wurde das Bühnenbild ständig beiderseitig durch Erweiterung und Aufrüstung der eigenen Besitztümer, Prestige-Objekte und Waffen verändert, um den Feind stets zu übertreffen.
Inmitten dieser Spannung der Familien keimte die heimliche Liebe zwischen Romeo und Julia zunehmend auf und steigerte sich zu einer Trauung durch den Mönch Lorenzo.
Dieser bot den beiden Liebenden mit seinem weisen Handeln und seinem kleinen Boot, welches symbolisch für den Ort der Zuflucht und die Instanz der Vermittlung zwischen den „ländlichen“, in ihrer Position verharrenden Familien stand, Sicherheit und Rückbesinnung auf Werte, wie Harmonie, Liebe und Hoffnung.
Auch ist Lorenzo nach der Verbannung Romeos die Person, die die Fäden zieht und sich von den Familien nicht einschüchtern lässt, sondern selbstsicher und gerecht agiert.
Die Ausgestaltung der Personen, vom agressiven Tybalt, über den jovialen, oberflächlichen und unbekümmerten Capulet, bis zum nach Liebe und Harmonie suchenden Romeo mit wechselhaftem Gemüt war sehr abwechslungsreich und auch zeitgemäß umgesetzt.
Auf sprachlicher Ebene war das Stück von einem Stilbruch gekennzeichnet, da die Personen sowohl in altertümlicher, lyrischer Sprache redeten, als auch in sehr moderner Umgangssprache, unter Rückgriff auf medial geprägte Sprachformen.
Diese Zäsur erzeugte eine Disharmonie, die zwar geschmacklos wirkte, aber der Funktion von Sprache des epischen Theaters entsprach, einer Identifizierung des Zuschauers mit den Personen entgegenzuwirken.
Zudem wurde der kritisch-distanzierte Verstand der Zuschauer durch tänzerische Einlagen der mit Politiker- und Terroristenmasken verkleideten Mitglieder beider Familien geweckt, da diese nicht in den Kontext des Stücks passten.
Auf politischer Ebene wurde hier die implizite Botschaft vermittelt, dass die politischen Oberhäupter der westlichen (z.B.: A. Merkel, George W. Bush, N. Sarkozy) und östlichen (z.B.: W. Putin) Zivilisation immer noch, wie die Familien Capulet und Montagu, in ihren (vom Kalten Krieg geprägten) verfeindeten Positionen festgefahren sind.
Die politisch-gesellschaftliche Kritik gipfelt im vom Originalwerk abweichenden Ende: Die Versöhnung der beiden Familien bleibt trotz der erschütternden Tode von Romeo und Julia aus und versinnbildlicht damit, dass einige Staaten und Völker trotz zahlreicher, nach Besinnung schreiender Todesopfer sich immer noch bekriegen und nicht aus den schrecklichen Fehlern der Vergangenheit lernen.

Die im Schlussbild auf beide Familien gerichteten Raketen sollten verdeutlichen, dass eine für irdische und kosmische Ordnung und Harmonie sorgende Instanz, sei sie materiell (z.B.: Menschen) oder immateriell (z.B.: ethische Ideen oder Gott), das Verhalten beider Familien durch angedrohte Eliminierung als verwerflich sieht.

Der kolossale aufgefahrerene Panzerwagen der Capulets war gleichsam einer Antithese mit rosa Herzchen übersät, was versinnbildlichen könnte, dass entweder Gewalt Symptom eines unerfüllten Bedürfnisses nach Liebe ist oder dass die Liebe über die Gewalt siegen wird, indem sie sie überdeckt, wie auch die Liebe Romeos und Julias der Gewalt zwischen den Familien trotzte.

andere Kritiken: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&task=view&id=3235
http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/spielplan/romeo_und_julia/pressestimmen/

Übersicht: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/spielplan/romeo_und_julia/

2 Antworten to “Theaterkritik Romeo und Julia im Schauspielhaus Dresden”

  1. Wagnis said

    Es lohnt sich sicher auch darüber nachzudenken, warum die beiden Häuser Capulet und Monatgue als Partyzelte dargestellt waren, warum im Schlussbild Raketen (offensichtlich vom Prinzen von Venedig) auf beide Häuser gerichtet waren und warum überdimensionierte Panzer und Panzerwagen aufgefahren wurden. Warum waren die eigentlich mit Blumen beklebt?

  2. hihi said

    Wagnis … du bist verwirrt

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